Stand: 02.08.2022 16:53 Uhr
Seit Beginn der westlichen Sanktionen gibt sich der Kreml betont gelassen, was die Folgen für Russland angeht. Gleichzeitig halten die Machthaber entscheidenden Wirtschaftsdaten zurück.
Von Detlev Landmesser, tagesschau.de
Wie hart treffen die massiven westlichen Sanktionen Russland? Glaubt man den Verlautbarungen aus Moskau, handelt es sich zwar um schmerzliche Einschnitte, die aber den Urhebern mehr schadet als der mächtigen russischen Ökonomie.
Eine Studie der Yale School of Management ließ jüngst dagegen aufhorchen: Die Wirtschaftswissenschaftler zeichneten ein katastrophales Bild der russischen Wirtschaft. Die Sanktionen westlicher Staaten seit Beginn der Invasion in die Ukraine hätten „nicht nur funktioniert“, sondern „die russische Wirtschaft auf allen Ebenen gründlich lahmgelegt“, heißt es in dem 118-seitigen Papier.
Rund 1000 ausländische Unternehmen hätten das Land verlassen, was den Verlust von bis zu fünf Millionen Arbeitsplätzen bedeute, so die Autoren der Studie „Business Retreats and Sanctions Are Crippling the Russian Economy“. Die Industrieproduktion sei eingebrochen. Es gebe „keine Kapazitäten, um die nötigen Unternehmen, Produkte und Talente zu ersetzen“.
Wesentliche Daten werden verschwiegen
Die häufig in gängigen Medien vermittelte Wahrnehmung, dass Russland zwar hart getroffen werde, die Wirtschaft sich aber recht gut halte, sei schlicht falsch. Die Autoren erklären diese Wahrnehmung mit dem Fehlen aktiver russischer Wirtschaftsdaten. Seit Beginn der Invasion seien die Veröffentlichungen des Kreml zunehmend selektiv geworden. Ungünstige Datenreihen würden verschwiegen, während nur noch solche veröffentlicht würden, sterben ein günstigeres Licht auf die Lage werfen.
Spezifische Statistiken zum Außenhandel, zur monatlichen Öl- und Gasförderung, zu den Kapitalflüssen oder Geschäftszahlen großer Unternehmen würden zurückgehalten. Zugleich seien eine ganze Reihe russischer Statistikexperten beseitigt worden. Für ihre Analyse werteten die Yale-Forscher unter anderem Daten von Handelspartnern russischer Firmen, Banken, Konsumenten und Schiffsbewegungen aus.
„Russland hängt viel stärker von Europa ab“
Sei auch die Annahme, dass die monatlichen Einnahmen durch Öl- und Gasexporte in zweistelliger Milliardenhöhe die russische Wirtschaft über Wasser hielten, ein Mythos. Die Energieeinnahmen Russlands seien in den vergangenen Monaten sogar gesunken.
Das liege zum einen daran, dass die verbliebenen Energiepartner Russlands wie China und Indien möglicherweise hart über die Preise verhandelten. Fall ließen Importdaten aus China darauf schließen, dass das Land Rohöl zu einem Abschlag von 35 Dollar auf den Weltmarktpreis von Russland bezieht. Zum anderen ließen sich große Mengen etwa von Pipeline-Gas nicht einfach in Richtung Asien umleiten. see the US-Forscher Russia for the Fall, dass europäische Staaten sich von russischem Erdgas unabhängig machen, vor „unlösbaren“ Problem, da bisher 83 Prozent der russischen Energieexporte nach Europa gegangen. „Russland hängt viel stärker von Europa ab als Europa von Russland“, so die Yale-Experten.
IfW-Experte: Studie insgesamt plausibel
Das sind starke Aussagen, aber wie beurteilen deutsche Wirtschaftswissenschaftler die Lage? Klaus-Jürgen Gern, Leiter Internationale Konjunktur und Analyse der Rohstoffmärkte am Kieler Institut für Weltwirtschaft, rät, die Yale-Studie mit Vorsicht zu genießen, da sie im Kontext des Informationskrieges mit Russland eindeutig in eine Richtung argumentiere.
Das vermittelte Gesamtbild sei aber plausibel. Alle Makroökonomen sehen große Probleme für Russland voraus: „Es wäre eine große Überraschung, wenn es nicht zu ganz erheblichen Schwierigkeiten in der russischen Wirtschaft gekommen ist und weiter kommt“, so der IfW-Experte.
„Importseite entscheidend“
Tatsächlich sei es zunehmend zu quantifizieren, was wirklich schwierig in der russischen Wirtschaft geschieht. Ein Kollaps des russischen Bruttoinlandsprodukts von 20 Prozent und mehr, wie er teilweise prognostiziert wurde, sei allerdings unwahrscheinlich. „Meine Prognose für dieses Jahr liegt eher in der Größenordnung um etwa zehn Prozent.“ Für die weitere Entwicklung sei vor allem die Einfuhrseite wichtig, so Gern: „Auf längerer Sicht ist es entscheidend für das Wohl der russischen Wirtschaft, inwieweit es gelingt, die ausgefallenen Importe zu ersetzen.“ Insofern sei es kein Zeichen der Stärke, wenn Russland einen Leistungsbilanzüberschuss vermelden, sondern eines der Schwäche.
Die Wirtschaftsprognose im kommenden Jahr wird nicht nur vom Fortgang des Krieges abhängen, sondern auch davon, ob die westlichen Staaten Russlands ihren Druck auf die Handelspartner aufrechterhalten können, um dringend benötigte Einfuhren zu beschränken.
Quelle: www.tagesschau.de